24. Mai 2024

Wie wird die digitale Datenwirtschaft der Zukunft aussehen?

Am Beispiel eines ferngesteuerten Roboterarms demonstriert das Gaia-X-Projekt Tellus auf der Cloud Expo in Frankfurt seinen Ansatz für Ende-zu-Ende-Echtzeitverbindungen als Basis für anspruchsvolle Datenanwendungen. Foto: Gaia-X Hub Deutschland, 2024

Die nächste Generation datenbasierter Technologien stellt das Internet und die Cloud vor neue Herausforderungen: Ob vernetzte Industrieproduktion, der nachhaltige Umbau der Stromnetze, das digitalisierte Verkehrswesen oder Telemedizin – weitere digitale Fortschritte erfordern eine neue Art von Infrastruktur für Datenaustausch, Datenverarbeitung und Datenübertragung. Drei ambitionierte Initiativen und Projekte arbeiten daran, die technologischen Barrieren zu überwinden und das Fundament für eine datenbasierte Ökonomie nach europäischen Wert- und Rechtsvorstellungen zu legen.

Weitere Digitalisierungsfortschritte nur durch Datenteilen

In Zeiten von Cloud und Internet sind Daten keine Mangelware. Je nach Quelle produzieren wir jedes Jahr 50 Prozent mehr Daten als im Vorjahr. Doch weitere Fortschritte in der Digitalisierung beruhen besonders in Europa auf dem Austausch und der Zusammenschau von Daten. Mit dem Data Act hat die EU-Kommission die Grundlage geschaffen, damit Unternehmen mehr Daten teilen und dass Dateneigner von der Wertschöpfung aus ihren Daten profitieren. Aber noch fehlt es an Standards, Schnittstellen und offen verfügbaren Werkzeugen für datenbasierte Kooperation, bei der Dateninhaber jederzeit die Kontrolle über ihre Daten behalten.
Gaia-X Datenökosystem Grafik

Drei wegweisende Projekte für die künftige Datenwirtschaft setzten auf zwei Ebenen an: auf der Infrastruktur- und auf der Datenebene. Bild: Gaia-X Hub Deutschland.

Gaia-X: Das Ökosystem für Datenräume

Genau diese Rahmenbedingungen will Gaia-X schaffen. Die zentrale Idee hinter dieser europäischen Initiative sind: föderierte Datenräume. Anstatt alle für ein Projekt benötigten Daten – etwa für das Trainieren einer KI – zu kopieren und zentral zu speichern, warum nicht die Daten an ihrem ursprünglichen Ort belassen und lediglich darauf zugreifen? So behalten die Dateneigner die Kontrolle über ihr digitales Eigentum und die Datennutzer gewinnen die gewünschten Erkenntnisse daraus.

Eine solche Umgebung ermöglichen Datenräume durch Standards, offene Schnittstellen, Open-Source-Technologie und Transparenz darüber, wer teilnimmt, wem Daten gehören und was mit ihnen geschieht.

Und auch hierbei setzt Gaia-X auf Dezentralisierung: Betreibende und Teilnehmende von Datenräumen bilden eigene Föderationen, in denen sie selbst über die Regeln und technischen Anforderungen für den Datenaustausch bestimmen – so lange sie mit den allgemeinen Vorgaben und der Gaia-X-Referenzarchitektur konform gehen.

So lassen sich einerseits branchen- und themenspezifische Bedürfnisse abbilden. Andererseits gewährleistet das gemeinsame Fundament die Anschlussfähigkeit an digitale Vorhaben in anderen Branchen und Themenfeldern. Das Ergebnis soll ein ganzes Ökosystem von interoperablen Datenräumen sein, das ein Fundament für die entstehende europäische Datenökonomie schafft.

Dieses Ökosystem aus Datenräumen erstreckt sich auf zwei Ebenen: der IT- und TK-Infrastruktur und der Daten. An ihm sollen ebenso Netzwerkprovider und Betreiber von Cloud-Plattformen und lokalen Rechenzentren teilhaben, also auch Teilnehmer von Datenräumen und Datenmarktplätzen.

IPCEI-CIS: Das anbieterübergreifende Cloud-Edge-Kontinuum

Die nächste Initiative unterstützt und ergänzt die neuen Gaia-X-Datenökosysteme. IPCEI-CIS leistet ihren Beitrag auf der Infrastrukturebene. Dort will die europäische Initiative endlich für echte Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Cloud-Providern und Datenverarbeitungskapazitäten sorgen. Ihr Ziel: Rechenleistung dorthin bringen, wo die Daten anfallen.

Bei IPCEI-CIS handelt es sich um ein „wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“ (IPCEI), also um ein strategisches Fördervorhaben der EU-Kommission. Die Endung CIS steht dabei für Cloud-Infrastrukturen und -Services der nächsten Generation. IPCEI-CIS ist im Dezember 2023 gestartet. Das Projekt wird von mehr als 100 Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus zwölf EU-Mitgliedsstaaten vorangetrieben und ist zunächst auf drei Jahre angelegt.

Wie Gaia-X arbeitet auch IPCEI-CIS an digitalen Ökosystemen. Während es bei Gaia-X um Daten geht, will IPCEI-CIS ein Ökosystem für Rechenleistung aufbauen. Es soll zentrale Kapazitäten in der Cloud mit dezentralen Ressourcen am Edge vernetzen, also am Rand eines Netzwerks, wo Daten lokal anfallen. Das Zielbild ist zum Beispiel ein vernetztes autonomes Fahrzeug, das sich entlang seiner Route mit verfügbaren Rechenkapazitäten in der Umgebung verbindet, also eine Art Compute-Roaming für die Datenwirtschaft.

Die Initiatoren von IPCEI-CIS nennen das „Cloud-Edge-Multi-Provider-Kontinuum“. Es verbindet das Beste zweier Welten: Die Cloud stellt hoch skalierbare, flexible und kosteneffiziente IT-Ressourcen aus Rechenzentren bereit. Aber der Zugriff ist abhängig von einer leistungsfähigen Internetverbindung, die Übertragung in Echtzeit aufgrund der Distanz zu den Servern nicht immer möglich. Edge-Computing bringt Rechenleistung nahe an die Datenquelle. Neben Echtzeitverarbeitung bietet dieser Ansatz Vorteile wie geringere Latenzen und Übertragungskosten sowie ein höheres Maß an Sicherheit. Dafür sind Edge-Ressourcen begrenzter.

Das Cloud-Edge-Kontinuum strebt eine nahtlose Integration von Cloud- und Edge-Computing dar, und zwar anbieterübergreifend und sicher. Anwenderunternehmen können in diesem Kontinuum Ressourcen und Anwendungen sowohl in die Cloud als auch an den Rand des Netzwerks verlagern. So ließen sich in Zukunft Datenverarbeitungsaufgaben dynamisch und nach Bedarf verteilen. Als erstes Ergebnis erarbeiten die Projekt-Beteiligten von IPCEI-CIS eine Referenzarchitektur, auf der alle weiteren Aktivitäten aufbauen sollen

Tellus: Automatische Echtzeitverbindungen

Im Gesamtbild von Datenökosystemen und einem künftigen Cloud-Edge-Kontinuum muss sich auch unsere Kommunikationsinfrastruktur weiterentwickeln. Mit dem Gaia-X-Projekt Tellus sollen Unternehmen in Zukunft Produktionsstandorte, Maschinen, Sensoren und Eingabegeräte in Echtzeit und sicher vernetzen können.

Wenn in naher Zukunft etwa eine Chirurgin ein virtuelles Skalpell führt, das im selben Augenblick tausende Kilometer entfernt einen Patienten operiert, müssen nicht nur Daten fließen, sie müssen es in Echtzeit tun, und das absolut zuverlässig. Doch dafür ist das Internet nicht ausgelegt. Es schickt jedes Datenpaket über einen anderen, gerade verfügbaren Pfad. Diese Methode bietet keine Leistungsgarantie. Dafür gibt es bereits heute Direktverbindungen abseits des üblichen Routings durch das Internet. Aber solche Ende-zu-Ende-Verbindungen zu schalten, war bisher mit hohem manuellem Aufwand von Tagen oder mehreren Stunden verbunden. In Zukunft sollen solche Verbindungen innerhalb von Augenblicken und automatisch zustande kommen.

Tellus entwickelt dazu ein Konzept für ein Echtzeit-Internet der nächsten Generation. Ihr Demonstrator ist (noch) kein Skalpell, sondern ein Roboterarm, der sich über einen Datenhandschuh steuern lässt. Dieser Handschuhe kann sich am anderen Ende der Welt bewegen, trotzdem folgt der Roboter augenblicklich dessen Gesten.

Dazu schaltet Tellus eine Echtzeitverbindung mit garantierten Leistungsmerkmalen hinsichtlich Latenz und Bandbreite. Es bestimmt, welche geografischen Wege die Datenpakete nehmen. Die Lösung von Tellus ist eine softwarebasierte Ende-zu-Ende-Verbindung auf Netzwerkebene. Die Tellus-Software berechnet, beauftragt und schaltet einen exklusiven Netzwerkpfad, der den technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Anforderungen einer Anwendung entspricht. Tellus tut das automatisch, KI-gesteuert, datensouverän und datenschutzkonform.

Fazit und Ausblick

Wie also wird die digitale Datenwirtschaft der Zukunft aussehen? Daten verarbeiten, die überall verteilt sind. Unterwegs Rechenleistung anzapfen wie Telefonnetze beim Roaming. Dinge am anderen Ende der Welt in Echtzeit steuern.

Das Gaia-X-Projekt Tellus ermöglicht End-to-End-Echtzeit-Verbindungen mit garantierten Leitungsparametern, die für zeitkritische Anwendungen wie Industrie 4.0 oder autonomes Fahren unverzichtbar sind. IPCEI-CIS schafft ein Provider-übergreifendes Roaming zwischen zentralen Cloud-Ressourcen und dezentralen Edge-Kapazitäten, um Daten und Anwendungen optimal zu platzieren. Gaia-X stellt sichere Datenräume bereit, in denen Unternehmen Daten souverän und datenschutzkonform austauschen können.

Anwenderunternehmen und Nutzende profitieren von Hochleistungskonnektivität, flexibler Rechenleistung und kontrollierter Datensouveränität. Das ermöglicht neue, datengetriebene Geschäftsmodelle und Innovationen in Bereichen wie Industrie, Mobilität oder Gesundheit. So wollen Europas digitale Pionierprojekte das Fundament für die künftige Datenökonomie legen und die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents Datenzeitalter erhalten.

Verfasst von Thomas Sprenger

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