Vielseitig und äußerst flexibel zeigten sich die Datenraumlösungen, Anwendungen und Geschäftsmodelle mit Gaia-X, die dieses Jahr auf der wichtigsten Messe für industrielle Transformation vorgestellt wurden. Die Neuerungen und Ereignisse.
„Connecting to Data Ecosystems based on Gaia-X“ – unter diesem Motto präsentierten sich der deutsche Gaia-X Hub und acht weitere Aussteller auf dem großen Gaia-X-Community Stand dieses Jahr auf der Hannover Messe. Durch Präsentationen, eindrucksvolle Demonstratoren und in Diskussionen zeigten sie, wie Gaia-X für Industrie und Mittelstand neue Möglichkeiten der Wertschöpfung eröffnet.
Denn, so fasste es Dr. Daniela Brönstrup, Abteilungsleiterin für Digital- und Innovationspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in ihrer Keynote beim Panel „Gaia-X – Leuchttürme des föderierten Datenökosystems “‘ zusammen: „Datenökosysteme sind der zentrale Innovationstreiber für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und die Digitalisierung der Verwaltung.“
Auch in diesem Jahr stand bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wieder der Besuch des Gaia-X- Gemeinschaftsstandes auf dem Programm. Gesprächsthema dabei: die Fortschritte der digitalen Transformation.
Mit Gaia-X Transformation zur Industrie 4.0
Während der europäische Dachverband Gaia-X AISBL Besucher:innen über Strategie und Richtlinien der Initiative informierte, erfuhren sie am Stand der GXFS unter anderem, welche XFSC-Werkzeuge bereits entwickelt wurden und zur Verfügung stehen.
Um praktische Anwendungen und die Umsetzung von Gaia-X ging es bei den anderen Ausstellern des Community-Standes. Das Leuchtturmprojekt EuProGigant, eine Projektfamilie von fünf Forschungs-/ Innovationsprojekten (EuProGigant, AMIDS, DIONE-X EXCOM und Flex4Res), zeigte beispielsweise, wie souveräne Maschinendaten und datenbasierte Dienste für die europäische Fertigungsindustrie verfügbar gemacht werden. GRIPSS-X informierte am Stand darüber, wie auf Basis von Gaia-X Lösungen und KI-Tools für einen reibungslosen Datenaustausch entstehen, um die Instandhaltung von Anlagen der Petrochemie zu gewährleisten.
Beim Projekt IPCEI-Cloud arbeitet man an der europäischen Cloud-Infrastruktur und vernetzt Cloud-Plattformen und lokale Speicher zu einer digitalen europäischen Infrastruktur. „Unsere Vision ist, dass sich beispielsweise ein vernetztes Fahrzeug während seiner Fahrt laufend mit passenden Recheneinheiten in seiner Umgebung verbindet, also eine Art Compute-Roaming – und das anbieterübergreifend, sicher und europaweit“, so eine Expertin von T-Systems International.
Um übergreifenden Datenlösungen für effiziente, klimaschonende Mobilität und Logistik geht es in der Projektfamilie Gaia-X 4 Future Mobility (GX4FM) und bei Neue Mobilität Paderborn (NeMo.bil). Hier werden Anwendungen von der flexiblen Planung von Bushaltestellen bis zum intermodularen Reisen je nach Wetterlage oder spezielle Lösungen für den öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Bereich entwickelt. Die angestrebten Zukunftsszenarien werden durch den Austausch sehr vieler Daten in Echtzeit zwischen allen Beteiligten möglich. Gaia-X bietet dazu den sicheren, souveränen und datenschutzkonformen Rahmen.
Gaia-X als Türöffner für neue Geschäftsfelder für KMU
Datenbasierte Lösungen für kritische Infrastrukturen waren das Diskussionsthema der Expert:innen aus verschiedenen Branchen und Projekten im folgenden Panel am zweiten Messetag. Sie erörterten, welche Herausforderungen aktuell mit dem Schutz sensibler Daten – etwa in der Energiewirtschaft, Luft- und Raumfahrt oder Mobilität – verbunden sind und welchen Beitrag Gaia-X dazu leisten kann. Dabei betonte Matthias Brucke, einer der Paten der Domäne Smart City / Smart Region, dass Infrastrukturen benötigt würden, auf die wir uns auch bei sicherheitskritischen Anwendungen verlassen könnten. „Da ist es besser, breit angelegte, quelloffene Ansätze wie Gaia-X zu verfolgen, statt Insellösungen zu schaffen.“
Die Podiumsdiskussion am darauffolgenden Tag mit Vertreter:innen der Plattform Industrie 4.0, EuProGigant, COOPERANTS, energy data-X und dem deutschen Hub drehte sich um die Möglichkeiten, die Gaia-X dem Mittelstand für einen souveränen, kooperativen und grenzübergreifenden Datenaustausch bietet. Dazu erklärte Dr. Caroline Lange von COOPERANTS: „Angesichts der steigenden Komplexität bei den Wertschöpfungsketten, an denen mittlerweile sehr viele Akteure beteiligt sind, braucht es einfache, sichere und interoperable Lösungen. KMU können mit Gaia-X daher nur gewinnen.“
Gaia-X Förderprojekte mit neu entwickelten Lösungen
Am Stand des Gaia-X Hubs stellten die Projekte des Gaia-X Förderwettbewerbs ihre Ergebnisse und Entwicklungen der vergangenen zweieinhalb Jahre in Meet & Greet-Slots, beziehungsweise durch Showcases vor. Sie alle stehen beispielhaft für die speziellen Anforderungen, Zielgruppen und Regularien ihrer jeweiligen Branche:
Autowerkstatt 4.0 simulierte exemplarisch an einem Kfz-Modell und einer 3D-Werkstatt, wie mit Gaia-X der sichere und interoperable Datenaustausch zwischen Werkstätten, KI-Anbietern und Messystemherstellern ermöglicht wird. Damit lassen sich schneller und gezielter Fehlerdiagnosen an Fahrzeugen erstellen sowie unnötige Reparaturen vermeiden.
In Live-Demonstrationen konnten Besucher:innen bei COOPERANTS ausprobieren, wie sie mit einer VR-Brille (Virtual Reality-Brille) originale Bauteile von Luft- und Raumfahrtprojekten digital modellieren können und die Zusammenarbeit von verschiedenen Orten aus an einem Modell in Echtzeit funktioniert. „Mit COOPERANTS entsteht ein digitaler Marktplatz und Services auf Basis von Gaia-X, mit denen Ingenieur:innen zukünftig ohne Umwege an relevanten Daten kollaborieren können”, erklärte Projektleiterin Dr. Caroline Lange.
Ihren transaktionsbasierte Datentreuhänder präsentierte das Projekt EuroDaT. Dieser wird zurzeit im Markt eingeführt. Er macht es möglich, sensible und personenbezogene Daten rechtssicher zusammenzuführen. Die Daten sind so verschlüsselt, dass die Rohdaten zu keinem Zeitpunkt für den Treuhänder oder für einen der Beteiligten einsehbar sind. Ein wichtiger Anwendungsbereich dabei ist das Aufdecken von Geldwäschegeschäften.
Das Gesundheitsprojekt Health-X dataLOFT führte vor, wie Gesundheitsdaten aus verschiedenen medizinischen Einrichtungen auf der entsprechenden Plattform zusammengeführt werden. Dort können Bürger:innen ihre persönlichen Daten dann für weitere medizinische Einrichtungen oder zu Forschungszwecken freigegeben.
Beim Meet & Greet des zweiten Gaia-X-Gesundheitsprojekts TEAM-X konnten Bürger:innen nachvollziehen, wie es ihnen das Datenökosystem künftig möglich machen wird, einfach per Klick ihre Pflege- und Gesundheitsdaten – beispielsweise auch aus Smart Devices – für medizinische Studien zur Verfügung stellen. Sie verfügen dabei souverän über ihre Daten und können diese Einwilligung jederzeit wieder zurückziehen.
Für das Projekt iECO hat sich das Konsortium zum Ziel gesetzt, die Effizienz der Baubranche durch die Digitalisierung aller Prozesse entlang der Wertschöpfungskette deutlich zu steigern: „Bei größeren Bauprojekten gibt es eine Vielzahl von Stakeholdern entlang der unterschiedlichen Bauphasen. Diese Stakeholder produzieren viele Daten, die sie untereinander teilen wollen. Mit dem Datenraum soll eine einfache und rechtssichere Möglichkeit geschaffen werden, diese Daten auszutauschen“ erklärte Experte Bjoern Schuster. Am Beispiel eines „Regelcheckers“ war zu sehen, wie ein digital modelliertes Bauprojekt automatisiert auf die Einhaltung aller Normen und Bauverordnungen geprüft wird und der Genehmigungsprozess dadurch vereinfacht werden kann.
Anschaulich zeigte auch das Projekt Marispace-X – unter anderem an einem echten Seekabel – wie mithilfe von Unterwasserdrohnen und einer direkten Datenübertragung im maritimen Datenraum kritische Unterwasserinfrastrukturen künftig besser geschützt werden können.
Bei MERLOT, dem Förderprojekt im Bereich Bildung, probierten die Besucher:innen per App den digitalen Bildungsmarktplatz aus. Passend zu den eigenen Fähigkeiten und Neigungen zeigt die App mögliche Karrierewege auf und unterstützt darüber hinaus beim lebenslangen Lernen. MERLOT entwickelt ein umfangreiches Konzept, um neben der Identitätsverwaltung auch die selbstsouveräne Orchestrierung von Zustimmungen zu ermöglichen, um persönliche Bildungsdaten mit verschiedenen Services sicher zu teilen.
Über die Entwicklung ihrer auf europäische Bedürfnisse abgestimmte und trainierte große Sprachmodelle informierte das Gaia-X-Projekt OpenGPT-X. „Für unseren Use Case ‚Schadensregulierung bei Kfz-Versicherungen‘ brauchen wir beispielsweise ein großes Sprachmodell wie OpenGPT-X, das durch sein Training ein wesentlich tieferes und differenzierteres Verständnis der deutschen Sprache mitbringt“, erklärte Experte Stephen Seiler bei seiner Präsentation. „Denn unsere KI muss komplexe Schadensszenarien abwägen und beurteilen können. Das kann ein allgemeines, großes Sprachmodell wie GPT-4 oder ChatGPT nicht leisten“.
POSSIBLE demonstrierte anhand eines Click-Dummys, wie Daten und Services in der Verwaltung über ein nutzerfreundliches Ökosystem zukünftig sicher und souverän geteilt werden können. „Unsere größte Herausforderung und gleichzeitig der wichtigste Mehrwert von POSSIBLE ist es, unterschiedliche Sektoren – KMUs, öffentliche Verwaltung und Bildung – so zusammenzuführen, dass es einfach wird, Datensätze interoperabel und sicher auszutauschen und Mehrwertdienste in einem übergeordneten Datenraum anzubieten“, so das POSSIBLE-Team.
Mit zwei Demonstratoren ließ TELLUS seine Arbeit lebendig werden. Einerseits durch einen Roboterhund, der mittels eines intelligenten Handschuhs durch bestimmte Bewegungen von einer Person gesteuert wird und wie ein echter dressierter Hund „folgt“. Ebenso lässt sich ein Roboterarm mit Greifwerkzeug in Echtzeit bewegen. Beides gelingt mithilfe des Tellus-Standards, mit dem sich eine stabile Datenübertragung erzielen lässt.
Gaia-X Anwendungen im Agrar- und Energiesektor
Auch in den Bereichen Landwirtschaft und Energie schreitet die Anwendung von Gaia-X-Technologien voran. Dies präsentierte das Projekt Agri-Gaia am Stand Gaia-X Hub Deutschland. Dort entsteht ein offenes KI-Ökosystem, in dem Daten von Landmaschinen, Landwirt:innen oder aus der Lebensmittelwirtschaft vernetzt und für die Optimierung im Pflanzenbau genutzt werden können.
Ebenfalls als sehr spannend erwiesen sich die aktuellen Entwicklungen in der Energiebranche. So konnte das Projekt energy data-X in Hannover zeigen, wie derzeit ein Ökosystem für den Datenaustausch in der Energiewirtschaft entsteht, um beispielsweise die notwendigen Lastenausgleiche zwischen Energieproduktion und -verbrauch im Netz besser vorhersagen und ausbalancieren zu können. „Bei energy data-X arbeiten wir an datenbasierten Technologien, um Stromnetze besser auf die Energiewende und die klimafreundliche Stromerzeugung auszurichten,“ erläuterte Arne Martin vom Fraunhofer IOSB. „Wir entwickeln unter anderem Verfahren, mit denen Stromnetzbetreiber gezielter in den Betrieb von Energieanlagen wie Solarzellen, Windräder, aber auch Wärmepumpen und Wallboxen für das Elektroauto eingreifen können, um im Netz Erzeugung und Verbrauch von Strom immer im Gleichgewicht zu halten.“
Mit dem Pilotprojekt dena-ENDA hat die Deutsche Energie-Agentur erstmals einen Energiedatenraum auf Basis von Gaia-X entwickelt und dazu eine Studie veröffentlicht und auf der Messe vorgestellt. Sie erläuterte die Ergebnisse aus den Use Cases und die Handlungsempfehlungen aus dem Projekt.
Rückblickend zeigte sich auf der Hannover Messe 2024, dass die Gaia-X-Initiative inzwischen ein breites Spektrum an Lösungen und Lösungsansätzen für alle möglichen Branchen erarbeitet hat. Deutlich wurde auch ein ausgesprochen reges Interesse bei den Teilnehmenden und Besucher:innen an den wesentlichen Gaia-X-Prinzipien wie Interoperabilität oder Datensouveränität. Mit dem erfolgreichen Verlauf dieser Messe für industrielle Transformation sehen der deutsche Gaia-X Hub und die Community sehr optimistisch den weiteren Entwicklungen und Veranstaltungen entgegen.
Verfasst von Benigna Daubenmerkl