Kurs 1: Einstieg in die Datenwirtschaft

Datenräume

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Europas Antwort auf das Datenzeitalter

Datenräume sind Europas innovative Antwort auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters. Sie ermöglichen Unternehmen und Organisationen, Daten souverän und sicher auszutauschen. Im Gegensatz zu zentralisierten Plattformen nutzen Datenräume eine dezentrale Struktur, die den Datenbesitzern die Kontrolle belässt. Dieses Konzept verbindet Datensouveränität mit wirtschaftlichem Wachstum und eröffnet neue Chancen für Innovation.

Ursprung Datenraum: Eine missverständliche Metapher

Wenn Sie an einen „Raum“ denken, stellen Sie sich wahrscheinlich einen abgegrenzten Bereich vor, in dem Dinge zusammengeführt werden. Diese Vorstellung führt beim Begriff „Datenraum“ leicht in die Irre. Denn anders als bei einer zentralen Datenplattform werden in einem digitalen Datenraum die Daten gerade nicht an einem Ort gesammelt.

Die Metapher des Datenraums hat ihre Wurzeln in der Geschäftswelt: Bei Firmenübernahmen richten Anwaltskanzleien oft physische Datenräume ein. Dort können potenzielle Investoren die Geschäftsbücher einsehen – aber nicht mitnehmen. Ein historisches Beispiel dafür sind die geheimen Vertragsunterlagen des gescheiterten Freihandelsabkommens TTIP. Sie lagen in einem physischen Datenraum des Bundeswirtschaftsministeriums, zugänglich nur für ausgewählte Abgeordnete.

Ein digitaler Datenraum arbeitet ähnlich, jedoch virtuell: Die Daten verbleiben in den Quellsystemen des Eigentümers. Dritte greifen über einen Konnektor zu – jedoch nur unter streng kontrollierten Bedingungen. Der Besitzer legt diese anhand eines Regelwerks wie Gaia-X fest.

Was war Gaia-X nochmal? Hier ein kurzes Erklärvideo:

So behalten die Dateneigentümer die volle Kontrolle und sie bleiben im Besitz ihrer Daten. Sie gewähren lediglich Zugriff für Personen beziehungsweise Organisationen, denen sie vertrauen. Man könnte sagen: Ein Datenraum ist wie ein Internet mit Passierschein und Kopierschutz.

In Datenräumen werden die Daten nicht innerhalb des Raumes geteilt, sondern werden über „Randpunkte“ direkt verbunden<br />

Digitaler Datenraum als Anti-Plattform

Stellen wir uns vor, die europäische Verkehrsbranche plant einen Datenraum für autonome Mobilität. Sie will dafür Informationen aus Fahrzeugen, Smartphones, Sensoren entlang der Straßen, Verkehrsleitsystemen, dem öffentlichen Nahverkehr und Wetterdiensten nutzen. Der naheliegende Weg: alle relevanten Daten in einer zentralen Cloud sammeln und dort analysieren. Doch welche Konsequenzen hätte das?

Der gesamte Verkehr unseres Kontinents würde von einem einzigen Plattformanbieter abhängen. Befände sich dessen Hauptsitz zum Beispiel in den USA oder China, könnten Entscheidungen aus anderen Rechtsräumen und Wirtschaftsregionen direkt die Mobilität in Europa beeinflussen. Selbst ein europäischer Anbieter könnte wirtschaftliche und technologische Abhängigkeiten für sich ausnutzen. Ein Monopol mit all seinen schädlichen Folgen wäre kaum zu vermeiden.

Ein Datenraum verfolgt einen anderen Ansatz: Er vernetzt verschiedene Plattformen, Datenquellen und Datendienste in einem Ökosystem auf einer föderierten Infrastruktur. Das klingt kompliziert? Lassen Sie uns das genauer betrachten.

Datenplattform, Datenraum, Datenökosystem

Daten dezentral speichern, Datennutzung föderieren

„Föderieren“ – ein Lieblingswort der Europäer, und das aus gutem Grund. Es stammt vom lateinischen „foedus“, was „Bündnis“ oder „Vertrag“ bedeutet. Die Idee des Föderalismus ist tief in der europäischen Geschichte verwurzelt.

Europa gleicht seit jeher einem Flickenteppich aus kleinen und großen Reichen und Staaten. Austausch und Wettbewerb auf engem Raum prägten den Kontinent. Konkurrenz, gegenseitige Beobachtung und Inspiration trieben den Fortschritt voran.

Auch heute ist die Europäische Union kein einheitlicher Staat, sondern ein überstaatlicher Zusammenschluss, der staatliches Handeln föderiert – also durch Bündnisse, Verträge sowie Verfahren für Rechtsetzung, Rechtsprechung und Verwaltung bindet und koordiniert. Anders gesagt: Europa ist kein Staat, sondern ein Netzwerk mit festen Knoten und Kanten.

Im Kontext der IT bedeutet „föderieren“ die Vernetzung und Zusammenarbeit von verteilten Systemen. Für eine gesamteuropäische Dateninfrastruktur ist also die Idee eines Netzwerks passender als die einer zentralen Plattform. Sie spiegelt die historische DNA unseres Kontinents wider.

Kollaboration im Datenraum

Beispiel: Datengestützte Mobilität für Europa

Betrachten wir noch einmal das Beispiel eines Datenraums für Mobilität in Europa. Bei einer zentralen Plattformlösung würden alle Verkehrsdaten – von Straßenzuständen über Fahrzeugbewegungen bis hin zu Nutzerverhalten – in einer einzigen Cloud gespeichert. Dies würde enorme Sicherheitsrisiken und Abhängigkeiten schaffen.

In einem Datenraum hingegen bleiben die Daten dezentral:

  • Städte behalten die Kontrolle über ihre Verkehrsleitsysteme
  • Automobilkonzerne verwalten die Daten ihrer vernetzten Fahrzeuge
  • Kartendienste geben ihre aktuellen Straßeninformationen weiter

Der Datenraum erlaubt allen Beteiligten, ihre Daten kontrolliert auszutauschen und zu verknüpfen, während zugleich jeder die volle Hoheit über seine Daten wahrt. Dadurch können innovative Mobilitätsdienste entstehen, ohne dass ein einzelner Akteur alle Daten kontrolliert.

Skizze: Wie funktioniert ein Datenraum?

Bleiben wir beim Beispiel Verkehr – hier zeigt der Mobility Data Space (MDS) konkret, wie ein europäischer Datenraum schon heute funktioniert und welche Akteure daran teilnehmen.

Mobility Data Space (MDS)

Im MDS vernetzen sich:

  • Automobilkonzerne (z.B. Fahrzeugpositionsdaten, Batteriezustände)
  • Städte/Kommunen (z.B. Echtzeitdaten zu Straßenzuständen, Baustellen, Parkraum)
  • Wetterdienste (z.B. Sturmmeldungen, Glatteisprognosen)
  • Versicherungskonzerne (z.B. Unfallstatistiken, Risikoprofile)
  • Ladeinfrastrukturbetreiber (z.B. Verfügbarkeit, Ladegeschwindigkeiten)

Die Schlüsselmechanismen für einen souveränen Datenaustausch dieser Akteure sind folgende:

  1. Dezentrale Architektur

Die Daten dieser Akteure bleiben in ihren Quellsystemen – eine Verkehrsbehörde speichert ihre Ampelschaltungen nicht im Mobility Data Space, sondern behält sie bei sich und gewährt über einen Konnektor bedarfsweisen Zugriff.

  1. Automated Trust

Datenräume nutzen Mechanismen zur automatisierten Identitäts- und Konformitätsverwaltung, um Vertrauen und Interoperabilität sicherzustellen. Der MDS verwendet beispielsweise den so genannten Dynamic Attribute Provisioning Service. Der DAPS funktioniert wie ein digitaler Ausweisstempel, der Datenverbindungen mit aktuellen Informationen versieht, um sicheren Datenaustausch zu ermöglichen.

Andere Datenräume setzen auf den Dienst der Gaia-X Digital Clearing Houses (GXDCH). Die GXDCH funktionieren wie ein Türsteher für das gesamte Gaia-X-Netzwerk, der prüft, ob Teilnehmende und ihre Angebote den Regeln entsprechen und ins Ökosystem passen. Zur Teilnahme am Datenraum muss sich eine Organisation gegenüber einem GXDCH in einem mehrstufigen Prozess identifzieren und legitimieren. Am Ende erstellt das GXDC ein digitales Zertifikat, das die Einhaltung der Gaia-X-Standards durch eine Organisation oder einen Service bestätigt.

  1. Nutzungsbedingungen

Ein Teilnehmer am Mobility Data Space, beispielsweise ein Automobilkonzern, knüpft den Zugriff auf seine Daten an folgende Bedingungen:

  • Keine Speicherung der Daten nach Nutzung
  • Ausschluss der Konkurrenzunternehmen X ,Y ,Z
  1. Neutrale Trägerschaft

2021 wurde die Trägergesellschaft des Mobility Data Space gegründet, die „DRM Datenraum Mobilität GmbH“. Sie ist als neutrale Non-Profit-Organisation strukturiert und hat die Aufgabe, den Mobility Data Space weiter aufzubauen und ihn technisch sowie kommerziell zu orchestrieren. Die acatech Stiftung ist Mehrheitsgesellschafter und agiert somit als neutraler Vermittler.

Praxisnutzen

Dank dieser Mechanismen entwickeln sich im Mobility Data Space praktische Anwendungsfälle für verschiedene Akteure. So nutzt ein Logistikunternehmen im MDS:

  • Wetterprognosen von Wetterdiensten
  • Straßensperrungen der Stadt
  • Ladekapazitäten von Infrastrukturanbietern
  • Live-Positionen eigener E-LKWs

Das Ergebnis: Weniger Leerfahrten und ein geringerer Energieverbrauch – ohne dass ein Konzern die Daten kontrolliert.

Dieses Beispiel zeigt: Datenräume lösen nicht nur technische Probleme. Sie sind ein soziotechnisches Ökosystem, das durch klare Regeln und Transparenz Vertrauen schafft und Innovation sowie wirtschaftliches Wachstum ermöglicht.

Wachsende wirtschaftliche Bedeutung von Datenräumen (Zahlen)

Die Entwicklung von Datenräumen ist nicht nur eine technologische Notwendigkeit, sondern auch von enormer wirtschaftlicher Bedeutung. Einige Zahlen und Einschätzungen von Expert:innen verdeutlichen dies:

  1. Eine Studie von Capgemini erwartet von Datenökosystemen deutliche Leistungssteigerungen für Unternehmen: 15 % mehr Kundenzufriedenheit, 14 % mehr Produktivität/Effizienz, 11 % weniger jährliche Kosten für 2-3 Jahre
  2. Durch die Anwendung des Data Acts erwartet die EU-Kommission einen BIP-Zuwachs in den Mitgliedsstaaten von 270 Milliarden Euro bis 2028.
  3. Eine Bitkom-Umfrage von 2024 zeigt: 61 % der deutschen Unternehmen schöpfen ihr Datenpotenzial kaum oder gar nicht aus. Datenräume könnten helfen, dieses gewaltige Potenzial zu heben.
  4. Nach Auffassung des Instituts der deutschen Wirtschaft (iW) sind neue Geschäftsmodelle und Produkte oft nur möglich, wenn Unternehmen nicht nur ihre eigenen Daten nutzen, sondern auch Daten von anderen einbeziehen können. Darum ist Data Sharing nunmehr zentral für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen.

Diese Fakten zeigen, wie dringend und vielversprechend der Aufbau von Datenräumen ist. Europa muss handeln, um im globalen Wettbewerb nicht zurückzufallen.

Datenräume schaffen eine Lösung, die wirtschaftliches Wachstum fördert und digitale Souveränität sichert. Sie sind Europas Antwort auf die Herausforderungen des Datenzeitalters – eine Antwort, die unsere Werte und die föderale Struktur wahrt.

In den nächsten Kapiteln betrachten wir, wie Gaia-X diese Vision verwirklicht und welche konkreten Schritte Unternehmen gehen können, um davon zu profitieren.

Quellen

Bitkom: Presseinformation. Deutsche Unternehmen nutzen ihre Daten kaum, 2024, https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutsche-Unternehmen-nutzen-ihre-Daten-kaum

Capgemini: Datengetriebene Unternehmen haben großen Wettbewerbsvorteil, 2020, https://www.capgemini.com/at-de/news/press-releases/datengetriebene-unternehmen-haben-grossen-wettbewerbsvorteil/#

EU-Kommission: Europäische Datenstrategie, https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/europe-fit-digital-age/european-data-strategy_de

EU-Kommission: Datengesetz: Kommission schlägt Maßnahmen für eine faire und innovative Datenwirtschaft vor, 2022, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_1113

Institut der deutschen Wirtschaft (iW): Data Sharing in Deutschland, 2023, https://www.iwkoeln.de/studien/jan-buechel-barbara-engels-data-sharing-in-deutschland.html

Mobility Data Space: Website der Betreibergesellschaft, https://mobility-dataspace.eu/de/

Gaia-X Hub Deutschland: Gaia-X Digital Clearing Houses (GXDCH): Torwächter der Datenwirtschaft, 2024, https://gaia-x-hub.de/gx-essentials/gaia-x-digital-clearing-houses-gxdch/

Gaia-X Hub Deutschland: Gaia-X und Geschäftsmodelle: Typen und Beispiele, 2023, https://gaia-x-hub.de/publikation/wp-gaia-x-geschaeftsmodelle/

Gaia-X Hub France: Discover Gaia-X, 2023, https://www.youtube.com/watch?v=Eucd7gMMy0g&t=3s