Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten
Wir stehen im Gesundheitswesen vor einer doppelten Herausforderung: Jeden Tag entstehen riesige Mengen an Gesundheitsdaten – zum Beispiel durch Klinikaufenthalte, diagnostische Bildgebung, Laboranalysen oder die Ausstellung von Rezepten sowie durch Anwendungen wie Fitness-Tracker oder telemedizinische Lösungen. Diese hochsensiblen Informationen liegen dezentral bei verschiedensten Akteuren (Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzt:innen, Laboren, App-Betreibern, Krankenkassen) und bleiben vielfach ungenutzt, obwohl sie Forschung, Innovation und die öffentliche Gesundheit enorm fördern könnten.
Sinnvoll genutzt, könnten kombinierte Datenanalysen beispielsweise ermöglichen, neue Therapien zu entwickeln, die Früherkennung von Krankheiten zu verbessern oder Versorgungsangebote passgenauer zu gestalten. Die Realität sieht jedoch oft so aus, dass aus Datenschutzgründen, durch technische Hürden und rechtliche Unsicherheiten gerade Daten aus Gesundheits-Apps oder Wearables nicht den Weg in klinische und wissenschaftliche Zusammenhänge finden.
Genau an diesem Problem setzt das Projekt HEALTH-X dataLOFT mit seinem Anwendungsfall „Sekundärnutzung von Daten“ an. Es ist als Leuchtturmprojekt in die europäische Gaia-X-Initiative eingebettet und wurde von 2022 bis 2025 als eines von elf Förderprojekten durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Es verfolgt die Vision eines föderierten Gesundheitsdatenraums, einer Infrastruktur zum Austausch von Gesundheitsdaten und datenbasierten Diensten, an welchem verschiedene Akteure aus der Gesundheitsdomäne angeschlossen sind (z.B. Krankenhäuser, niedergelassene Ärzt:innen, Labore, App-Betreiber, Krankenkassen etc.) und in welchem mit einem hohen Grad an Kontrolle und Sicherheit Gesundheitsdaten weitergegeben werden können: für Forschung, innovative Therapien und neue digitale Gesundheitsdienste. Die Nutzung der Daten erfolgt dabei immer freiwillig, kontrolliert und nach höchsten Datenschutz- und Sicherheitsstandards.
Die Lösung, die HEALTH-X dataLOFT ermöglicht, ist deshalb mehr als ein technisches System – es ist ein gesellschaftliches Angebot: Über eine App können Nutzende gezielt und informiert eigene Gesundheitsdaten für medizinische Studien oder Innovationsprojekte „spenden“. Prozesse wie Pseudonymisierung, sichere Verwaltung und Transparenz sind dabei standardmäßig integriert.
So wird die komplexe und aufwändige „Zweitnutzung“ ein klar geregelter, für alle Seiten vorteilhafter Prozess: Forschende und Unternehmen erhalten Zugang zu wertvollen Daten, während alle Beteiligten auf verlässliche digitale und organisatorische Sicherheitsmechanismen vertrauen können.
Ein starkes Netzwerk aus Forschung, Versorgung, Wirtschaft und Technik
Das Projekt HEALTH-X dataLOFT vereint die Expertise von über einem Dutzend Partnern unterschiedlicher Disziplinen: Die Charité – Universitätsmedizin Berlin leitet das Konsortium, außerdem beteiligt sind Forschungsinstitute wie das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST und das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS, das Hasso-Plattner-Institut, OFFIS e.V. sowie die Freie Universität Berlin und TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V.. Auch Unternehmen wie Siemens Healthineers, die Bundesdruckerei und IONOS SE sowie IT-Beratungen, eHealth-Start-ups sowie der International Data Spaces e.V. gehören zu den Projektpartnern.
Die Entwicklung und der Betrieb des Datenraums erfolgen partnerschaftlich. Aufgaben wie die technische Plattformentwicklung, die Gestaltung benutzerfreundlicher Apps und die Aushandlung von Regeln und Governance werden arbeitsteilig umgesetzt. Ein Schwerpunkt liegt auf der Anbindung an bestehende Telematikinfrastrukturen und europäische Standards, um maximale Zukunftssicherheit und Interoperabilität gewährleisten zu können.
Was ist die Telematikinfrastruktur?
Die Telematikinfrastruktur ist die digitale Vernetzungsplattform des deutschen Gesundheitswesens. Sie verbindet Ärzt:innen, Krankenhäuser, Apotheken, Pflegeeinrichtungen, Krankenkassen und weitere Akteure über ein sicheres Netzwerk und ermöglicht den geschützten Austausch von Gesundheitsdaten und Dokumenten. Die Telematikinfrastruktur basiert auf verbindlichen gesetzlichen und technischen Vorgaben, wird zentral koordiniert und stellt sicher, dass Datenschutz und Informationssicherheit stets gewährleistet sind.
Bürger:innen im Mittelpunkt
Eine weitere Besonderheit des Anwendungsfalls: Bürger:innen stehen im Mittelpunkt. Sie entscheiden eigenständig, ob sie ihre Daten für Studien freigeben möchten oder nicht. Datentreuhänder – häufig unabhängige Gesundheitsdienstleister – garantieren einen sicheren, datenschutzkonformen Transfer der sensiblen Informationen.
Datenraum-Architektur und Funktionalität für die Endanwender – Schritt für Schritt
Analog zu den Prinzipien aus Kurs 2 des Campus wird auch dieser Anwendungsfall in einem modernen, dezentralen Datenraum umgesetzt. Die Nutzung des Datenraums von HEALTH-X dataLOFT folgt einem klar strukturierten Ablauf. Dieser lässt sich am Beispiel von Maxima Mustermann erklären, die per Wearable und App regelmäßig Gesundheitsdaten wie Herzfrequenz, Bewegung und Schlafgewohnheiten sammelt:
- Informationsphase:
Maxima Mustermann nutzt die dataLOFT-App und erfährt, dass für die Studie „Herzgesundheit in der Mitte Europas“ gezielt Daten zu Aktivität und Herzfrequenz gesucht werden. Die App informiert transparent über Ziel, Ablauf und Nutzen der Studie.
- Einwilligungsmanagement und Kontrolle:
Per App kann Maxima Mustermann zustimmen, dass genau diese Daten von ihr an die Studie übermittelt werden. Ihre Zustimmung erteilt sie bewusst – sie ist jederzeit widerrufbar, so dass Maxima die volle Kontrolle über ihre Daten behält.
- Matching und Transparenz:
Bevor eine Übermittlung erfolgt, prüft die Plattform automatisch, ob Maximas Daten tatsächlich zu den Anforderungen der Studie passen, z. B. ob ausreichend Datenpunkte zur Herzfrequenz vorliegen. Nur bei Eignung erhält Maxima einen Hinweis und kann dann gezielt und informiert die Freigabe erteilen.
- Datenschutz, Pseudonymisierung und Treuhänder-Prinzip:
Bevor Daten für Forschung oder Wirtschaft nutzbar werden, erfolgt eine strenge Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung. Eine spätere Zuordnung der Daten zu ihrer Person ist ausgeschlossen. Die Verwaltung und technische Absicherung der Daten übernimmt ein unabhängiger Datentreuhänder. - Sicherer Datentransfer an Forschung und Wirtschaft:
Die Forschenden des Studienprojekts erhalten einen zeitlich und inhaltlich klar begrenzten, dokumentierten Zugriff auf die pseudonymisierten Daten von Maxima Mustermann und anderen Teilnehmenden. Jede „Bewegung“ der Daten wird nachvollziehbar dokumentiert, so dass Transparenz gewährleistet bleibt.
Nutzen für Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft
- Wie profitiert Maxima Mustermann?
Maxima Mustermann erhält über die App jederzeit Auskunft, welche ihrer Daten aktuell genutzt werden und für welchen Zweck. Nach Abschluss der Studie wird sie in verständlicher Form über die Ergebnisse informiert – z. B. wie sich Alltagsbewegung auf die Herzgesundheit auswirkt, oder ob individuelle Empfehlungen abgeleitet wurden. Im besten Fall profitieren Maxima Mustermann und andere Teilnehmende künftig von auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Präventionsangeboten oder weiterentwickelten digitalen Gesundheitsdiensten.
- Wie profitieren Forschende und Unternehmen?
Forschende erhalten Zugang zu umfangreichen, realitätsnahen Gesundheitsdaten. Damit lassen sich aussagekräftige, groß angelegte Studien besser planen und neue Ansätze für Diagnostik oder Prävention entwickeln. Unternehmen, insbesondere innovative Start-ups, können auf einer sicheren und rechtssicheren Grundlage neue Produkte, praxistaugliche Services und Analyselösungen entwickeln und erproben.
- Wie profitiert die Gesellschaft?
Durch die Sekundärnutzung solcher Daten erhalten Gesundheitssystem und Gesellschaft neue Impulse, wie Prävention und Therapie zielgenauer und wirksamer gestaltet werden können. Die Verfügbarkeit hochwertiger Daten macht es möglich, Versorgungslücken schneller zu erkennen, individuelle Risiken besser abzuschätzen und den medizinischen Fortschritt insgesamt zu beschleunigen.
Zusammenfassung & Ausblick
Mit HEALTH-X dataLOFT wird aus dem abstrakten Versprechen „Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten“ endlich Realität: Die Plattform ermöglicht es Bürger:innen ihre Daten sicher und nachvollziehbar für Forschung und Innovation bereitzustellen – freiwillig und transparent. Forschende und Unternehmen profitieren von einem einfachen Zugang zu wertvollen Daten, während Datenschutz und digitale Souveränität gewahrt bleiben.
Die Plattform selbst ist offen und modular angelegt. Sie integriert laufend weitere technische Module, Partner und neue Anwendungsfelder – wie etwa Präventionsstudien, KI-Entwicklung oder Versorgungsforschung. Die Ergebnisse und Technologien aus HEALTH-X fließen gezielt in größere Initiativen wie den European Health Data Space (EHDA e.V.) ein. Damit trägt Health-X dazu bei, den souveränen, effizienten und sicheren Umgang mit Gesundheitsdaten europaweit zu fördern und zu etablieren.
Wer sich weiterführend informieren oder mitmachen möchte:
- Die offizielle Projektseite liefert aktuelle Informationen, Anwendungsfälle und Kontaktmöglichkeiten: health-x.org
- Der Gaia-X Hub Germany bietet Veranstaltungen, Vernetzung und kontinuierliche Weiterbildung.
- Ergebnisse und Ansätze von Health-X dataLOFT fließen direkt in den European Health Data Space (EHDA e.V.) ein – auch dort finden sich Netzwerke, Arbeitsgruppen und Teilnahmemöglichkeiten für Branchen, Forschende und die interessierte Öffentlichkeit: https://ehda-ev.eu/
Fazit
Der Anwendungsfall von Health-X dataLOFT verbindet digitale Souveränität, effizienten Datenschutz und wirtschaftliche Innovation im Gesundheitswesen in einem dezentralen Datenraum. Es schafft ein Modell, das Bürger:innen, Forschung und Wirtschaft gleichermaßen zugutekommt – transparent, rechtssicher und zukunftsorientiert.
Quellen
Gaia-X Hub Germany (2023). Was ist HEALTH-X dataLOFT?. Factsheet, Verfügbar unter: https://gaia-x-hub.de/wp-content/uploads/2024/06/HEALTH-XdataLOFT-Kurzinfo.pdf
HEALTH-X dataLOFT (2025). Die Zukunft der Gesundheitsversorgung, Verfügbar unter: https://www.health-x.org/home